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Von wegen Fleischesser: Was Neandertaler wirklich aßen

Eine aktuelle Forschung zeigt: Dass sich Neandertaler hauptsächlich von Fleisch ernährten, ist ein Mythos. Wie die Wissenschaftler:innen die tatsächliche Ernährungsweise der Urmenschen herausfanden, erfährst du hier.

Der typische Speiseplan von Neandertalern bestand hauptsächlich aus erlegten Tieren und hin und wieder ein paar Beeren oder Nüssen: Dies ist eine weit verbreitete Annahme, auf der unter anderem auch die Paleo-Diät basiert. Bei der nachgeahmten Steinzeit-Ernährung sind Kulturpflanzen wie Getreide und Hülsenfrüchte tabu. 

Laut neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen sah die Ernährung der Neandertaler allerdings anders aus. So haben sie sich zu großen Teilen auch von kohlenhydratreichen Pflanzen ernährt.

Die Nahrung der Neandertaler: Das verrät der Zahnstein

2021 setzte sich eine Forschungsgruppe vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena genauer mit der Ernährung der Neandertaler auseinander. Dabei untersuchten die Wissenschaftler:innen 100.000 Jahre alte Zähne von verschiedenen Vertreter:innen der Gattung „Homo“, also von ausgestorbenen Urmenschen. Zentraler Bestandteil der Analyse war dabei der Zahnstein. Dieser gibt laut Spektrum Aufschluss darüber, welche Bakterienarten sich in der Mundhöhle eines Menschen befanden. Von den Bakterienarten lässt sich wiederum auf die Ernährung schließen.

So fanden die Forschenden heraus, dass bei Neandertalern zu überraschend großen Teilen dasselbe bakterielle Milieu vorherrschte, wie dies auch heute bei modernen Menschen der Fall ist. Im Zahnstein der Neandertaler fanden die Wissenschaftler:innen dabei auch Bakterien, die dafür zuständig sind, pflanzliche Stärke zu verdauen. Die Mundhöhle von Neandertalern war also bereits an eine stärkehaltige Ernährung angepasst. Dies lässt den Rückschluss zu, dass sich Neandertaler und ihre Vorfahren in deutlich höherem Maße von Pflanzen ernährt haben als bislang angenommen.

Datteln, Bohnen und Linsen – Das stand auf dem Speiseplan

Ein weiteres Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig beschäftigte sich bereits 2014 mit der Frage, inwieweit sich die Ernährung von Neandertalern abhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort voneinander unterschied. Dabei stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, ob der Verzehr von pflanzlichen Nahrungsmitteln eventuell nur ein gelegentlich auftretendes lokales Phänomen war.

Laut den Ergebnissen ist dies nicht der Fall. Die Analyse der Zahnsteine ergab, dass Neandertaler unabhängig vom Standort und den klimatisch-geografischen Voraussetzungen regelmäßig kohlenhydratreiche Pflanzen zu sich nahmen. Dabei handelte es sich zum Beispiel um Datteln, stärkehaltigen Samen, Zwiebeln, Wildgetreide (unter anderem die Vorläufer von Roggen und Weizen), sowie Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen und Linsen. Auch die Samen von Teich- und Seerosen waren teilweise Bestandteil ihres Speiseplans.

Zudem sind sich Wissenschaftler:innen laut Spektrum einig, dass Neandertaler einen großen Teil ihrer pflanzlichen Ernährung vor dem Verzehr kochten. Denn im Zahnstein fanden die Forschenden aus Leipzig Stärkekörner, die sich durch Erhitzen strukturell verändert hatten. Wie das Kochen in der Steinzeit genau aussah, ist bislang unklar. So ist zum Beispiel vorstellbar, dass Neandertaler die Pflanzen in eine mit Wasser gefüllte Tierhaut einpackten und dann über ein Feuer hängten.

Darum waren Pflanzen ein wichtiges Nahrungsmittel

Auch auf die Frage, warum Neandertaler sich überhaupt die Mühe machten, Pflanzen zu sammeln, zu kochen und zu verzehren, gibt es mittlerweile Antworten. Sie sind auf die Funktionsweise des menschlichen Organismus zurückzuführen. Denn wenn Menschen über mehrere Wochen lang ausschließlich Fleisch zu sich nehmen, stellt sich eine Proteinvergiftung ein. Diese ist auch als „Kaninchenhunger“ bekannt.

Folgen der Proteinvergiftung sind Übelkeit, Erschöpfung und Durchfall. Gerade in der Steinzeit folgte darauf nicht selten der Tod. Die Ursache für die Vergiftung ist der Stickstoff in den Aminosäuren, aus denen Eiweiße bestehen. Höhere Mengen an Stickstoff kann unser Körper irgendwann nicht mehr verwerten. Sie sammeln sich dann als Toxine in unserem Körper an. Deshalb sollten beim Menschen nur etwa 20 Prozent der aufgenommenen Kalorien aus Eiweißen stammen. Ab einem Anteil von 35 Prozent beginnt der Körper, die schädlichen Toxine einzulagern.

Der Körper kennt jedoch auch Wege, die Gifte wieder loszuwerden. Dies gelingt sowohl über die Aufnahme von Kohlenhydraten als auch über die Aufnahme von Fett. Da zum Beispiel Inuit in Polargebieten keine kohlenhydratreichen Pflanzen vorfinden, essen sie sehr fetthaltiges Robben- und Walfleisch. Neandertaler wiederum griffen auf Kohlenhydrate in Form von pflanzlichen Nahrungsmitteln zurück.

Woher stammt der Irrglaube?

Trotz dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hält sich weiterhin der Mythos vom Neandertaler als ausschließlichem Fleischesser. Er geht zurück auf eine Aussage der Urgeschichtsforscher Richards und Schmitz aus dem Jahr 2005. Auf einer Pressekonferenz in Bonn verkündeten sie, die Neandertaler hätten sich so „einseitig wie Wölfe“ ernährt. 90 Prozent ihrer Ernährung habe aus Fleisch bestanden. Später erwiesen sich diese Schlussfolgerungen als falsch und voreilig. Einmal verbreitet, ist der Irrglaube heute jedoch schwer wieder aus der Welt zu schaffen.